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Anne erzählt ihre Geschichte.

  • Autorenbild: Vanessa
    Vanessa
  • 22. März 2020
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 27. Apr. 2020


Ich beobachte, wie alle Anwesenden der Tagung beim Frühstück auf mein Tablettendöschen schauen, eine ganze Weile lang sagt niemand etwas, aber ich erkenne, wie sie darüber nachdenken. Nach einer halben Ewigkeit voller Schweigen, traut sich endlich jemand nachzufragen „Wofür hast du die? Du musst auch nicht antworten, wenn du nicht möchtest.“ Ich erwidere, dass ich Endometriose habe und antworten möchte, weil es wichtig ist, darüber zu reden.



Die Reaktion ist wie immer: kurzes, betretenes, mitleidiges Lächeln, dann schnell wegschauen und am besten das Thema wechseln. Bevor das passiert, fange ich automatisch an zu erklären, was Endometriose ist und dass ca. jede 10. Frau davon betroffen ist. Mittlerweile habe ich mir eine Erklärung zu Endometriose so zurechtgelegt, dass sie für andere einfach verständlich ist und ich sie ohne nachzudenken erzählen kann. Daraufhin folgt ein schockiertes Gesicht und ein Themenwechsel.


Hey Ihr, ich bin Anne und 22 Jahre alt. Meine Diagnose habe ich seit August 2018, die Schmerzen begleiten mich schon viel länger. Und auch mir war Endometriose vor der eigenen Diagnose kein Begriff.

Was ich in dem oben erwähnten Gespräch nicht erzählt habe:

An den meisten Tagen habe ich Schmerzen, auch wenn man es mir nicht ansieht. Auch dann, wenn ich es nicht erwähne. Für andere Menschen ist es schwierig zu verstehen, dass ich nicht mehr gesund werde. Es gibt bessere und schlechtere Tage, aber ganz verschwinden wird diese Krankheit wahrscheinlich nicht. Ständig Schmerzen und andere Symptome zu erleben, ist abschreckend. Keiner möchte etwas davon wissen, wenn du mit 22 auf die Frage „Wie geht es dir?“ so oft mit „Ich habe Schmerzen“ antwortest. Der Fakt, dass ich jung bin und absolut nichts getan habe, um das zu verdienen (wie jede*r) und es mir dauerhaft nicht gut geht, ist für die meisten schwierig zu akzeptieren. Da ich nahezu jeden Tag Symptome spüre: Wenn ich mich über meine Schmerzen beschwere, dann ist der Punkt erreicht, an dem es wirklich schlimm ist. Schlimmer als „normal“.


Ich bin nicht immer fähig, alles mitzuerleben, was andere in meinem Alter machen würden. An manchen Tagen liege ich einfach nur weinend vor Schmerzen da und das ist alles, was ich tun kann. Und dann hört es auf einmal auf. Von jetzt auf gleich geht es mir wieder gut.

Ich erlebe nicht jeden Tag alle Symptome, auch die Stärke der Symptome meiner Endometriose kann sehr stark variieren. An dem einem Tag geht es mir „gut“, am nächsten Tag sitze ich wieder unfähig mich zu bewegen auf dem Boden meines Badezimmers. An dem einem Tag, kann ich eine Sache erledigen, am nächsten Tag, schaffe ich genau das Gleiche nicht mehr. Manche Symptome tauchen auf, und verschwinden nach einer Weile wieder, aber manchmal bleiben sie auch für immer.


Sie wollen daran glauben, dass ich irgendwie gesund werden kann. Was, wenn ich einfach noch mehr versuche? Denn nur das wäre fair und richtig, gell? Es kann nicht sein, dass da keiner etwas machen kann, um die Situation zu verbessern. Mit der Endometriose habe ich nicht nur einen Teil meiner Lebensqualität verloren, sondern auch Menschen in meinem Leben.


Es ist wichtig zu verstehen, dass Wir Uns unsere Schmerzen nicht ausdenken, wir erfinden nichts. DAS ist unser Alltag. Wenn Ich jemandem etwas vormachen wollte, dann hätte ich mir eine Krankheit ausgesucht, deren Existenz nicht von der Allgemeinheit heruntergespielt oder sogar bezweifelt wird.

Denn es ist verdammt kräftezehrend sich immer und immer wieder erklären zu müssen. Dennoch ist genau das so unglaublich wichtig, damit Wir gehört werden, damit die Gesellschaft für Endometriose sensibilisiert wird.


Ich fühle mich öfter, als wäre ich 90 Jahre alt, aber das ist okay. Ich verfluche die Endometriose manchmal wirklich sehr, doch selbst, wenn ich die Endometriose an mir ändern könnte, würde ich es nicht ändern.

Meine Endometriose hat mich und mein Leben geprägt, bereits vor der Diagnose. Ich bin mir sicher, ich wäre ohne sie nicht, die Person, die ich heute bin. Mein Körper mag ziemlich am Ende sein, aber ich bin auch aufmerksamer meiner Umwelt gegenüber geworden, man weiß nie, was eine Person gerade durchmacht, außer sie erzählt es einem. Ich bin sensibler für die unsichtbaren Krankheiten und Kämpfe geworden, die Menschen in sich tragen. Die Endometriose hat mir gezeigt, besser auf meinen Körper aufzupassen und auf die Zeichen, die mein Körper mir sendet zu hören. Nicht zu ignorieren. Ich habe gelernt, meine Stimme zu erheben, mich für mich und meinen Körper einzusetzen.


Und vor allem habe ich gelernt, ich überlebe die schlimmsten Tage, auch wenn ich in dem Moment denke, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, an dem die Schmerzen mich endgültig ganz ausknocken. Bis jetzt haben Wir alle all‘ unsere schlimmsten Tage irgendwie überlebt. Wir sind alle so stark, wir haben so unglaublich viel Kraft, lasst Euch nichts anderes einreden!


Ich trage vielleicht standardmäßig eine Menge Schmerzmittel in meiner Handtasche mit mir herum, bin manchmal nicht in der Lage Treppen zu laufen, aber die Endometriose nimmt mich mir nicht weg. Die Endometriose gehört zu mir.


Endometriose gehört zu jeder 10. Frau*. Es ist an der Zeit, dass WIR gehört werden. Es ist an der Zeit, dass sich mehr Forscher*Innen, Ärzt*Innen, Politiker*Innen etc. für Uns einsetzen.

Und am Ende des Tages, ist keine* von Uns damit alleine. Wir haben Uns. Ich wünsche mir, dass Wir diesen Kampf für Uns und Unsere Körper irgendwann gewinnen werden.


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